Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 74, Dezember 2018/Januar 2019

 

+++ Von Rabat über Barcelona bis Hamburg: für „Boza“ und Bewegungsfreiheit +++ 9.12. in Berlin: „Todesursache: Flucht“ – gegen die tödliche Gleichgültigkeit +++ Seebrücke zum 10. Dezember - Nicht mein Europa +++ 12./13.12. in Gap und Berlin: Solidarität mit den Briancon 7 +++ 13.12. - 17.12.2018 in Marburg, Hannover, Göttingen, Dresden, Berlin: Filmvorführung & Gespräch: Moria 35 (Lesvos) +++ 15.12. in Büren: Vorbereitungstreffen zu "100 Jahre gegen Abschiebehaft" +++ Seebrücke: Karte für sichere Häfen +++ Lesetips: Migrationspakt, Stadtteilpolitik und Migration, neue Zeitung von Afrique-Europe-Interact +++ Kampagnen für BürgerInnenAsyl - in Berlin und bundesweit +++ Civil Fleet: Gemeinsamer Einsatz im zentralen Mittelmeer +++ Alarm Phone: Report und Spendenaufruf +++ Harmanli 21/Grenzüberquerungen in Bulgarien +++ Karawane der MigrantInnen in Mexico +++ Rückblick: Veranstaltungsreihe zum Alarm Phone Sahara +++ Ausblicke: Demo für Familiennachzug am 2. Februar in Berlin; Nächstes Treffen We`ll Come United am 9./10. Februar 2019 in Frankfurt +++

Liebe Freundinnen und Freunde!

Rabat, Barcelona und Hamburg: nicht ganz zufällig fanden in diesen drei Städten Anfang Dezember zeitgleiche Treffen und Konferenzen statt. In Hamburg ging es um Nachbereitung und weitere Planungen bei We`ll Come United nach der großartigen antirassistischen Parade von Ende September. In Barcelona kam das Netzwerk Welcome to Europe zusammen, u.a. um die Verbreitung der frisch produzierten „Welcome to Spain“-Broschüren (siehe http://w2eu.info/spain.en.html) zu organisieren sowie ein transnationales Sommercamp für Sommer 2019 vorzubereiten. Schließlich Marokko: bereits Anfang November fand in Oujda ein beeindruckendes Treffen von rund 80 Aktiven des WatchTheMed Alarm Phone statt. Beteiligt waren zahlreiche subsaharische AktivistInnen und es gelang ein lebendiger Austausch vor dem Hintergrund täglicher Überfahrtsversuche sowie willkürlicher Razzien, Verhaftungen und „Verbannungstransporten“ nach Südmarokko. Umso beachtlicher, dass sich nun am 1.Dezember trotz und gegen diese verschärften Repressionen auf einer Konferenz selbstorganisierter MigrantInnen in Rabat rund 400 TeilnehmerInnen versammelten. Aus dem bewegenden Kurzbericht: „…teils skandierte der ganze Saal „Boza“ (den Freiheitsruf an den Zäunen von Ceuta und Melilla), teils flossen Tränen, etwa als Kinder bzw. Jugendliche aus 11 Ländern (inklusive Marokko) ein Theaterstück aufführten, bei dem es um das gemeinsame Miteinander in Marokko ging…“ Das westliche Mittelmeer, also von Marokko nach Spanien, und dann weiter Richtung Frankreich und darüber hinaus hat sich 2018 bekanntlich erstmals zur zahlenmäßig bedeutendsten Fluchtroute nach Europa entwickelt. Knapp 60.000 Menschen (Stand 5.12.18) haben es in kleinen Booten über das Meer oder kletternd über die Zäune von Ceuta und Melilla geschafft. In Spanien haben sich gleichzeitig die Solidaritätsstrukturen vervielfacht, die Bewegungen der Migration haben sich hier zunächst neue Spielräume geschaffen.

In der Ägäis sind 2018 ca. 30.000 Menschen auf den griechischen Inseln angelandet, etwas mehr als im letzten Jahr. Die Überbelegung und Unterversorgung in den Hotspots ist zum Dauerzustand geworden, während an der Landgrenze zur Türkei die Praxis der illegalen Push-Backs unvermindert anhält – und in den letzten Tagen offenbar die ersten Todesopfer dieses Winters gefordert hat, als drei Geflüchtete auf der türkischen Seite des Grenzflusses offenbar nach einem Push-back durch griechische Grenzpolizei erfroren sind.

Schließlich das zentrale Mittelmeer, wo die EU -Ausrüstung der libyschen Abfang-Milizen, die Schließung der Häfen in Italien und die Blockierung und Kriminalisierung der Seenotrettung für 2018 gleichzeitig zu den niedrigsten Ankunftszahlen und der höchsten Todesrate geführt hat. Angesichts dessen haben am 23. November die drei Rettungsorganisationen Sea Watch, Pro Activa Open Arms und Mediterranea ein gemeinsames Manifest veröffentlicht. Darin heißt es: „Deshalb haben wir ein Bündnis für ein ´Europa in Solidarität` geschlossen, sowohl auf See als auch an Land und in der Luft. Eine humanitäre Flotte, bestehend aus Mediterranea, Open Arms und Sea-Watch, aber offen für andere Organisationen, sticht zusammen in See; eine Flotte, die eng mit einem Netzwerk humanitärer Städte, Bewegungen und zivilen Organisationen auf der ganzen Welt verbunden ist und von diesen unterstützt wird, um die elementarsten Menschenrechte zu verteidigen: Leben und Würde. Wir werden beweisen, dass die aktive Zivilgesellschaft nicht nur bereit ist, Leben auf See zu retten, sondern auch in der Lage ist, ein neues Europa und ein gerechtes Aufnahmesystem an Land zu schaffen. Wir rufen europäische Städte, Bürgermeister*innen, Bürger*innen, Vereine, Bewegungen, Organisationen und alle, die an unsere Mission glauben, zum Handeln auf. Schließt Euch unserem zivilen Bündnis an und lasst uns gemeinsam aufstehen und mutig eine Zukunft voller Respekt und Gleichberechtigung einfordern. Wir werden gemeinsam für das Recht zu kommen und für das Recht zu bleiben eintreten…“

Das lässt sich nur unterstreichen und wie im letzten Kompass bereits von We`ll Come United zitiert: From the Sea to the Cities, von den Außengrenzen bis in die Innenstädte geht es um einen „Aufstand der Solidarität“, den Auf- und Ausbau von Alltagsstrukturen für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für Alle. Das „Relocation from below“, die sichere Weiterreise und Verteilung der Ankommenden entsprechend ihrer Interessen und Community-Strukturen in Europa, markiert eine Säule dieses Kampfes. Hier muss in den kommenden Monaten an den starken Seebrückenmobilisierungen und den Bereitschaftserklärungen vieler BürgermeisterInnen und Kommunen angeknüpft und der Druck für eine konkrete Umsetzung verstärkt werden. Machbare Vorschläge für eine kommunale Flüchtlingsaufnahme mit Refinanzierung durch EU-Fonds liegen längst auf dem Tisch.

„Wer nicht ertrinkt, wird abgeschoben?“ So lautet ein Slogan auf einem der Plakate von https://aktionbuergerinnenasyl.de/. Und bringt den Zusammenhang damit auf den Punkt. Wir brauchen gemeinsame Kampagnen gegen Ausgrenzung und Abschiebung, die wieder alltagsmächtiger werden und der rassistischen Offensive des Grenzregime ganz praktisch die Stirn bieten - mit derselben Hartnäckigkeit wie die Flucht- und Migrationsbewegungen selbst.

Die Kompass-Crew

P.S.: Besondere solidarische Grüße gehen auch auf die andere Seite des Atlantiks, wo Tausende zentralamerikanischer MigrantInnen in gemeinsamen Märschen Richtung Norden ihr Recht zu kommen und zu bleiben einfordern. Ein zentraler Slogan: „Wir sind keine Verbrecher, wir sind internationale ArbeiterInnen!“